Titel von Elisabeth Escher. Another blog: https://bookofflorence.wordpress.com/
„Hol es dir. Hol es dir zurück“, flüsterte eine Stimme. Ihre Beine trugen sie über den Bürgersteig, über Straßen und Brücken. Nieselregen fiel auf die Erde nieder und die Wolken drückten sich immer näher zusammen, als wollten sie jeden Lichtstrahl der Sonne zurückhalten. Sie trug keine Haube und fühlte die Regentropfen, die wie kleine Nadeln auf ihrem Gesicht landeten.
„Hol es dir. Hol es dir zurück.“ Die Stimme war lauter geworden, eindringlicher.
Ihr Blick war stets auf den Asphalt gerichtet gewesen, doch als sie den Kopf nun hob, sah sie bereits das gelbe Schulgebäude. Hinter den blinden Fenstern brannte kein Licht und als sie an der Tür angekommen war und die Hand auf den Türgriff legte, spürte sie die Kälte des Eisens. Sie durchdrang ihren Körper und schüttelte sie kurz durch. Bei jedem Atemzug entstanden Dunstwolken, bis sie schließlich über die Schwelle trat und die Tür hinter sich zu fallen ließ. Ganz still wurde es. Das Rauschen des Verkehrs und die Stimmen der Menschen waren ausgesperrt und sie schaute sich um. Sie befand sich in der Eingangshalle. Der Boden war gelb, die Geländer türkis und die Wände weiß, grau beschmutzt. Der Geruch des Plastikbodens vermischt mit Putzmittel, stieg ihr in die Nase und sofort war ihr dieser Ort wieder vollkommen vertraut.
„Hol es dir. Hol es dir schnell. Hol es dir zurück.“
Ihr Herz schlug so fest, dass es sich anfühlte, als säße es direkt unter ihrer Haut. Sie holte Atem und bewegte sich tiefer in das Gebäude hinein. „Ich hole es mir“, flüsterte sie.
Sie ging an geschlossenen Klassenräumen, an schmutzigen Sofas und schief hängenden Plakaten vorbei. Obwohl sie hier heute niemanden antreffen würde, war es ihr, als höre sie die Stimmen der Lehrer und Schüler hinter den Wänden. Ein monotoner Singsang über Anpassung und Systeme. Sie sah Kinder in ihrem Kopf durch die Gänge laufen, erinnerte sich, wie auch sie vor einigen Monaten noch ihre Schulbücher von Klasse zu Klasse getragen hatte.
Schließlich stand sie am Ende des Gangs vor einer Holztür. Niemals hätte sie früher gewagt, sich ihr zu nähern. Die Lehrpersonen hatten es ihnen strengstens verboten. Doch jetzt gab es niemanden mehr, der sie aufhielt.
Schweiß lief ihr über den Rücken und sie schloss für einen Moment die Augen. Sie musste es sich holen.
Sie öffnete die Tür und tastete nach einem Lichtschalter. Nach einem Klicken, erhellten zwei nackte Glühbirnen einen Raum, der bis zur Decke mit Regalen vollgestellt war. Sie war sich nicht sicher gewesen, wie sie es vorfinden würde und trat näher heran. In jedem der Regale stapelten sich Kartons mit kleinen weißen Kärtchen, auf denen Namen aufgedruckt waren.
Gleich bei den vordersten Kartons fand sie ihren Namen. Hannah Aichinger. Vorsichtig zog Hannah die Kiste heraus. Sie war ganz leicht, als wäre sie leer.
Auf einmal war sie ruhig. Ihr Herzschlag ging regelmäßig, ebenso ihr Atem.
„Öffne sie“, hörte sie die Stimme sagen.
Hannah hob den Deckel und plötzlich sah sie Farben und Muster in allen Ecken. Die Schatten begannen zu tanzen, der Raum drehte sich und Hannah griff nach dem Regal, um sich festzuhalten. Sie glaubte die Farben auf ihrer Zunge schmecken zu können, Geräusche auf ihrer Haut zu spüren und alles, alles was man ihr in den letzten Schuljahren als unumstößlich beigebracht hatte, ging ineinander über, veränderte sich zu neuen Kompositionen und bot ihr unzählige neue Möglichkeiten.
So also, fühlte sich Fantasie an.




Sehr spannend, sehr nice :)

Danke :))

Liebe Jenna,
war das wirklich nur eine Phantasie oder sind sie in der Realität durch ihre alte Schule gestreift? Das wäre für mich nach dem Abitur völlig undenkbar gewesen - ich habe mein Gymnasium gehaßt, war ich doch eines der ganz wenigen Mädchen in einem humanistischen Gymnasium und das bei Lehrern, die für Frauen mehr als nur Basalbildung für Verschwendung hielten. Sogar nach vielen Jahren, als ich zufällig in er Nähe war, bin ich diesem Gebäude und seinen Erinnerungen in weitem Bogen ausgewichen.
Erst vieleJahre später, als mein älterer Sohn im Gymnasium war, in dem dann einer meiner alten, verabscheuten Lehrer Direktor war, konnte ich mich rächen: Ich wurde Mitglied im Elternbeirat und unterband dann im Verein mit anderen mutigen Müttern all den Unfug, den Lehrer so gerne mit ihnen ausgelieferten Schülern anstellen. Und - welch ein Triumpf - ich erklärte ihnen vor allen anderen ganz genau, warum ich sie so bekämpfte.
Kindisch, gell, aber es war herrlich! ;);)

Mach's gut und laß die Schule weit hinter Dir!
Liebe Grüße, Iris

Liebe Iris,
In der Realität bin ich noch dazu verpflichtet durch die Schule zu streifen. Meine Matura habe ich leider noch nicht, aber es schien mir an der Zeit meine Schulkritik in Worte zu packen.
Wahnsinnig gerne bin ich auch nicht dort, zwar ist es nicht so schlimm, aber vermissen werde ich diesen Ort bestimmt nicht. Ich freue mich unheimlich auf den Tag, an dem ich die Schule dann tatsächlich hinter mir lassen kann.
Danke dir!
Liebe Grüße, Jenna

Dann, liebe Jenna,
Kopf hoch, Nase zuhalten und durch. Jetzt daueret es nicht mehr lange und der Sieg ist Dein!

Ich denke an Dich und halte Dir fest die Daumen!

Liebe Grüße, Iris

Das ist schön!! Danke :)
Liebe Grüße, Jenna

Der Text ist wirklich gut und ziemlich wahr, Ich hab ne Gänsehaut bekommen beim lesen.
Aber hey, die Freiheit ist nah. :)
LG

Das freut mich sehr, dass er dir gefallen hat!
Stimmt, ich sage es mir auch ganz oft, das macht es leichter. :)
LG

gut getroffen.
Der Unterricht ist bei mir schon vorbei, nur für eine schriftliche und eine mündliche Prüfung muss ich noch in die Schule. Ich kann die Freiheit kaum erwarten.

Das glaube ich dir! So geht es mir auch.
Viel Glück noch!